… Prof. Dr. Kurt Wagemann, Geschäftsführer des DECHEMA e.V., und Dr. Florian Ausfelder, Themensprecher „Energie & Klima“ beim DECHEMA e.V.
Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft, denn er kann mithilfe erneuerbarer Energien klimaneutral hergestellt werden. So kann Strom, beispielsweise aus Solar- und Windkraft, in Form von Wasserstoff gespeichert und transportiert werden. Außerdem kann das Gas als Brennstoff oder Ausgangsstoff für Chemikalien und Kraftstoffe fossile Energieträger in Bereichen ersetzen, die nicht auf Strom umgestellt werden können. Dazu zählen unter anderem der LKW-, Flug- und Schiffsverkehr sowie verschiedene Industriezweige. Damit Deutschland die Zukunft der Wasserstofftechnologien aktiv mitgestaltet, hat die Bundesregierung kürzlich die Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Was steckt dahinter? Wie realistisch sind die Ziele und wo steht die deutsche Forschung heute? Prof. Dr. Kurt Wagemann und Dr. Florian Ausfelder geben Antworten.

Um die Nationale Wasserstoffstrategie wurde lange gerungen. Nun wurde sie endlich beschlossen – milliardenschwer. Zusammen mit dem Konjunkturpaket als Reaktion auf die Corona-Krise sollen neun Milliarden Euro in Wasserstofftechnologien fließen. Wie bewerten Sie die Nationale Wasserstoffstrategie?
Wasserstoff hat als zukünftiger Energieträger das Potenzial, unser gesamtes Energiesystem nachhaltig zu verändern. Daher ist es sehr zu begrüßen, wenn die Entwicklung einer solchen Zukunftstechnologie nicht nur in isolierten Anstrengungen verfolgt wird, sondern eine konzertierte Herangehensweise nicht nur der verschiedenen Ministerien, sondern auch in engem Kontakt mit Wirtschaft und Wissenschaft angestrebt wird.
Wasserstoff kann in vielen Bereichen einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende und einer nachhaltigen Entwicklung leisten. In einigen Bereichen ist er jedoch langfristig alternativlos und wir begrüßen ausdrücklich den Fokus auf die industrielle Nutzung von Wasserstoff in den Grundstoffindustrien, speziell auch der chemischen Industrie.
Die Antwort auf die Frage, welche Farbe der Wasserstoff haben kann und darf, hätten wir uns aus folgenden Gründen offener gewünscht: Wir bezweifeln, dass ausreichende Mengen an „grünem“ Wasserstoff schnell und kostengünstig genug zur Verfügung stehen werden, um die neuen Industrieprozesse rasch auszurollen und die Infrastruktur zügig zu entwickeln. Auch sehen wir die Position als zu einengend im Kontext eines europäischen Binnenmarktes an. Wasserstoff wird zu einem wichtigen Handelsgut innerhalb Europas werden, dessen Quellennachweis aber nachverfolgbar sein muss.
Wie realistisch sind die Ziele? Und wie können diese erreicht werden?
Das Ziel, Wasserstoff über einen Leitmarkt als Dekarbonisierungsoption zu etablieren und damit einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ist ein hoher Anspruch, vor allen Dingen im Hinblick auf die beabsichtigte Zeitschiene und mit dem Anspruch allein auf „grünen“ Wasserstoff zu setzen. Als „grüner“ Wasserstoff wird im Kontext der Nationalen Wasserstoffstrategie nur Wasserstoff verstanden, der unter Einsatz erneuerbarer Energien bereitgestellt wird. Die Zielsetzungen sind ambitioniert. Es geht dabei auch um die Förderung von Forschung und Entwicklung für das Upscaling der Elektrolyseure bis in den Gigawatt-Bereich und um Investitionsmittel, um Elektrolysekapazitäten schneller hochzufahren. Zentral wird aber sein, zu welchen Kosten der Wasserstoff nachher zur Verfügung steht und ob dies für die Anwendungen im Vergleich zu den Alternativen wettbewerbsfähig ist. Hier sehen wir noch Herausforderungen, sowohl im notwendigen zusätzlichen Ausbau erneuerbarer Energien, den Kosten für „grünen“ Strom und dem Umbau der Prozessketten. Wie in der Nationalen Wasserstoffstrategie ausgeführt, werden wir um den Import nicht herumkommen. Dieser sollte im Kontext einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und mit Rücksicht auf die energie- und entwicklungspolitischen Ziele der Exportländer entwickelt werden.
„Wasserstoff wird zu einem wichtigen Handelsgut innerhalb Europas werden.“
Welche Industriezweige und Sektoren, sprich Industrie, Verkehr, Wärme etc., können besonders von der Nationalen Wasserstoffstrategie profitieren?
Für einige Industriebranchen, vor allen Dingen in der Grundstoffindustrie, ist Wasserstoff mittelfristig alternativlos, um die Produktion nachhaltig und klimaneutral zu gestalten. Hierzu gehören die chemische Industrie und die Stahlindustrie. Auch andere Industrien können profitieren, entweder durch den Einsatz von Power-to-X-Brennstoffen oder als Lieferant des dafür erforderlichen neuen Rohstoffs Kohlenstoffdioxid (CO2), der unter Einsatz von Wasserstoff zu diesen Brennstoffen umgesetzt wird. Wir sollten uns aber nichts vormachen. Die Grundstoffindustrien zeichnen sich durch einen sehr hohen Energiebedarf für die chemischen Umwandlungen aus, gleichzeitig aber durch eine relativ geringe Wertschöpfung pro eingesetzter Einheit Energie. Umgekehrt bedeutet dies, dass wenig Spielraum für eventuell anfallende Mehrkosten verfügbar ist. Gerade auch deshalb wird die Herausforderung darin bestehen, die Kosten für „grünen“ Wasserstoff sehr schnell und substanziell gegenüber dem aktuellen Kostenniveau zu senken.
Deutschland soll international führend im Bereich der Wasserstofftechnologien werden. Dazu soll die Forschungsförderung in den nächsten Jahren deutlich erhöht werden. Wie ist hierzulande der aktuelle Stand von Forschung und Entwicklung? Wo muss noch mehr getan werden?
Deutschland ist aktuell sehr gut im Bereich der Forschung und Entwicklung dabei. Wir sehen ein starkes Engagement sowohl der industriellen Endanwender als auch im Anlagenbau. In diesem Sinne werden von der Nationalen Wasserstoffstrategie wichtige Impulse für die weitere Entwicklung ausgehen. Wir als DECHEMA sprechen uns für eine enge Verzahnung von akademischer und industrieller Forschung und Entwicklung aus. Zum einen muss die akademische Community hinsichtlich der industriellen Herausforderungen sensibilisiert werden, zum anderen werden auch im industriellen Umfeld die Chancen einer Zusammenarbeit im Hinblick auf die Etablierung von gesamten Wertschöpfungsketten stärker dargestellt werden müssen. Nur dann lassen sich, ausgehend von einer frühzeitigen Zusammenarbeit in Forschungs- und Entwicklungsprojekten über Branchengrenzen hinweg, gemeinsam die Herausforderungen erfolgreich meistern. Im Rahmen der Forschungsoffensive sind auch große Forschungsvorhaben „Wasserstoff in der Stahl- und Chemieindustrie“ als zukunftsweisende Angebote angekündigt, um Klimaneutralität zu erreichen. Wir sehen in dieser Maßnahme eine gute Chance, früh die relevanten Prozesse zu adressieren und zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten.
„Für einige Industriebranchen ist Wasserstoff alternativlos, um die Produktion nachhaltig und klimaneutral zu gestalten.“
Wie trägt die DECHEMA dazu bei?
Die DECHEMA sieht sich an der Schnittstelle von Akademia, Industrie und Gesellschaft. In unseren Netzwerken werden die Themen ausgiebig von Experten mit unterschiedlichsten Hintergründen diskutiert. Wir sind darüber hinaus intensiv selbst in Forschungs- und Entwicklungsprojekten aktiv. Im Zentrum unseres Engagements steht das professionelle Management sehr großer BMBF-geförderter Projekte: Das Kopernikus-Projekt P2X, das verschiedene Power-to-X-Wertschöpfungsketten abbildet, und NAMOSYN, das sich mit synthetischen Kraftstoffen beschäftigt. Hinzu kommen weitere Projekte wie Power-to-Methanol als eine Vorstudie für eine Anlage zur Produktion von erneuerbarem Methanol. Diese Projekte ergänzen sich hervorragend mit unseren Aktivitäten zur CO2-Abtrennung und Nutzung als einem unverzichtbaren Baustein für die weitere Nutzung von Wasserstoff in Form von kohlenstoffhaltigen Energieträgern oder chemischen Grundstoffen. Im Kontext nationaler und internationaler Aktivitäten bilden unsere Veranstaltungen eine Möglichkeit, den Austausch in und zwischen den Communities zu stärken und voranzubringen. Die DECHEMA hat außerdem in Form von Studien- und Positionspapieren schon früh die Bedeutung von Wasserstoff hervorgehoben und insbesondere im Kontext der chemischen Industrie analysiert.
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